2009-10-06_MLatif04_Jsteffen

© Jan Steffen, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Experten rechnen damit, dass im Jahr 2034  weltweit etwa sieben Milliarden Menschen mit dem Flugzeug unterwegs sein werden, damit hätte sich die Zahl seit 2014 mehr als verdoppelt. Für die Umwelt ist das eine Katastrophe. Klimaschutzorganisationen wie atmosfair
machen es möglich, den CO₂-Fußabdruck des Fluges berechnen zu lassen und durch eine Spende zu kompensieren. Im Interview habe ich den bekannten Klimaforscher Prof. Dr. Mojib Latif u.a. gefragt, was das bringt.

Warum sind Sie Schirmherr von atmosfair?
Bei atmosfair weiß man genau, wo das Geld hingeht. Es ist diese Transparenz, die ich sehr schätze. Bei Organisationen, die nur mit CO2-Zertifikaten handeln, sind die Geldflüsse ziemlich undurchsichtig.

Was würden Sie jemandem sagen, der Programme wie atmosfair als Ablasshandel bezeichnet?
Die beste Möglichkeit wäre natürlich, wenn man Flüge oder Schiffsreisen ganz vermeiden könnte. Das geht aber nicht immer. Ein Ablasshandel wäre es nur, wenn es keinen Mehrwert gäbe. atmosfair bietet diesen und fördert zum Beispiel den Aufbau der erneuerbaren Energien in Afrika und Asien, sorgt dafür, dass es Menschen vor Ort besser geht und fördert gleichzeitig auch die lokale Wirtschaft. Das Geld versickert also nicht, sondern hilft nachweislich Menschen und mindert CO2 – das ist kein Ablasshandel.

Welches, der durch die Klimaschutzorganisation geförderten Projekte liegt Ihnen besonders am Herzen?
Ich möchte kein Projekt hervorheben, weil atmosfair nur tolle Projekte unterstützt. atmosfair versucht auch immer Strukturen zu verändern, das wirkt nicht unbedingt sofort aber auf lange Sicht schon. Wenn heute ein europäischer Hersteller von Elektrogeräten auf Geschäftsreisen weniger fliegt und mehr Videokonferenzen nutzt, weil ein atmosfair-Gimmick auf der Buchungsseite für Mitarbeiter die Klimabilanz ihrer Flüge spielerisch thematisiert und Anreize für Videokonferenzen setzt, dann hilft das dem Klima genauso viel oder mehr, wie die Förderung von Kleinbiogasanlagen in Kenia.

Wächst die Zahl der Menschen, die atmosfair nutzen?
Ja, aber langsam. Derzeit sind es etwa 100.000 Menschen jährlich, das ist verschwindend gering im Vergleich zu den über 200 Millionen Passagieren auf deutschen Flughäfen jährlich.

Latif-Mojib_2014-04-29_08_JSteffen-GEOMAR

© Jan Steffen, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Als ich Sie für das Interview anrief, saßen Sie im Zug. Welches ist Ihre liebste Art zu reisen?
Ich bin sehr viel unterwegs, auch im Ausland. Da kann man sich das Verkehrsmittel nicht immer aussuchen. Mein liebstes Fortbewegungsmittel ist das Fahrrad.

Wie oft nehmen Sie das Flugzeug?
Sehr oft, auf langen Strecken gibt es praktisch keine Alternative. Innereuropäisch kann man da bestimmt noch viel machen, schnelle Bahnverbindungen würden sich hier anbieten.

Gibt es eine Airline, die mit atmosfair kooperiert? Wo man also direkt beim Buchen ausgleichen kann?
Nein, das ist derzeit nicht der Fall. Viele Fluggesellschaften befürchten, dass allein das Angebot von atmosfair schadet und Passagiere abschreckt. Es ist verrückt: Die einen werfen uns Ablasshandel vor, weil man sich angeblich mit atmosfair freikauft und mit gutem Gewissen mehr fliegt, die anderen fürchten, dass Menschen wegen atmosfair gerade nicht mehr fliegen. Aber beides kann ja nun nicht stimmen.

Sind die Abgase, die beim Fliegen in der Höhe ausgestoßen werden schädlicher?
Beim CO2 ist das nicht der Fall, aber bei Stickoxiden, Wasserdampf und Partikeln schon. Diese bauen in der großen Höhe Ozon auf, wie beim Sommersmog in den Städten am Boden, nur effektiver. Und sie erzeugen Kondensstreifen, die das Klima noch einmal ungefähr genauso stark erwärmen, wie das CO2.

Stimmt es, dass ein Flugzeug bereits bei der Strecke vom Parkplatz bis zur Startbahn 1.000 Liter Kerosin verbraucht? Und wenn ja, warum werden die Flugzeuge z.B. nicht einfach gezogen?
Nein, je nach Flugzeug und Länge der Taxizeit sprechen wir eher von 200 bis 400 Liter. Und es gibt ja bereits elektrische Taxi-Fahrzeuge, die Flugzeuge bis zur Startposition ziehen, während die Triebwerke noch abgeschaltet bleiben.

Was ist klimaschädlicher: Mit dem Kreuzfahrtschiff nach Schweden oder mit dem Flugzeug?
Das kommt sehr auf das Schiff, dessen Route und Liegezeiten im Hafen an. Unter normalen Umständen ist die Kreuzfahrt schädlicher. Nur wenn es ein sehr modernes Schiff ist, was direkt und ohne Aufenthalt fährt, dann können Schiff und Flugzeug etwa gleichauf liegen.

Eine hypothetische Annahme: Wenn 300 Leute nach New York möchten, wäre es besser, wenn sie statt des Flugzeugs das Auto nähmen? (Das wären dann circa 75 Autos, bei einer 4-Mann-Belegung)
Naja, das ist ja wirklich eher hypothetisch. Aber egal: Der CO2-Ausstoß im Auto wäre pro Kopf etwas geringer als im Flugzeug. Aber dazu kommt, dass das Flugzeug ja auch noch andere Schadstoffe ausstößt, die in großen Höhen klimaschädlich sind, am Boden dagegen nicht. Deswegen ist die Klimabilanz im Auto auf jeden Fall besser. Aber wichtiger ist etwas anderes: Wenn Sie nach New York reisen, dann bleiben sie am besten länger da, genießen Sie Ihre Reise. Dann brauchen Sie die nächsten 10 Jahre nicht mehr hinzufahren, und das hilft dem Klima am meisten. Denn ob per Auto oder Flugzeug: Aus Klimasicht ist New York für uns einfach schmerzhaft weit entfernt.

Latif-Mojib_2014-04-29_06_JSteffen-GEOMAR

© Jan Steffen, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Danke an Prof. Dr. Latif für das Interview. Weitere Tipps zum nachhaltigen Reisen (z.B. innerhalb Deutschlands) habe ich für euch im glore Magazin
und in der WirtschaftsWoche Green zusammengefasst.