Christina Egerter am baltischen Meer

Christina Egerter am baltischen Meer

Fünf Tage tauchte Christina Egerter in der Hauptstadt Lettlands ab. Ihr Ziel war es, die Stadt so kennenzulernen, wie die Einheimischen sie sehen. Mit einem Blick für die Realität Rigas. Lasst euch von ihr auf eine ungewöhnliche Tour durch Riga mitnehmen: Verschwindet mit ihr in ihren Erinnerungen und begleitet sie durch zwielichtige Hinterhöfe, riesige Markthallen und schöne Cafés.
Mehr über Christinas Abenteuer könnt ihr bald auch auf ihrem neuen Blog lesen.
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“When you disappear, reality appears“. Mit diesem Satz in den Ohren begebe ich mich erneut in eine der Hallen des riesigen Zentralmarktes Rigas. Gestern stand ich bereits hier mit Martin, dem Guide der Yellow Free Tour und lauschte diesem Satz aus seinem Mund. Er wollte uns Touristen aus England, Peru, Italien, Österreich und der Schweiz verdeutlichen, dass es lohnenswert sein kann aus seiner touristischen „Alles-mit dem Foto-festhalten-Müssen“-Rolle zu verschwinden, das Leben in Riga aus der Ferne zu betrachten, um die Stadt so wirklich kennzulernen. Ja und so versuchte ich während meiner Reise in die lettische Hauptstadt immer wieder zu verschwinden, um in Rigas Realität einzutauchen.

Trotzdem bin ich nach 5 Tagen Riga kein gewöhnlicher Einwohner der größten Stadt des Baltikums geworden. Dafür hatte ich viel Zeit, um verschiedene Stadtteile zu erkunden und auch einen Abstecher zum baltischen Meer, der Ostsee, zu machen. Am Ende meiner Reise habe ich Lust auf mehr: Mehr Einblicke in die Hinterhöfe Rigas und anderen Orte Lettlands. Mehr Zeit für Estland und Litauen, die anderen beiden baltischen Staaten. Mehr Sonnenschein, also vielleicht sollte ich das nächste Mal im Sommer herkommen!
Samstag, 5.12
So einfach, schnell und günstig bin ich noch nicht einmal innerhalb Deutschlands von Flughäfen nach Hause gekommen. Nur 40min und 1.05€ kostet mich die Anreise in mein Hotel und der Busfahrer der Linie 22 lässt mich sogar an einer sonst nicht angefahrenen Haltestelle hinaus. Kurz nach meiner Ankunft zieht es mich schon wieder hinaus, denn es scheint zu dämmern, obwohl es erst früher Nachmittag ist. Eine Stunde geht die Uhr in Riga nach vorne und dennoch ist die Stadt bereits um 16 Uhr in fast vollständige Nacht getaucht. Schnell laufe ich durch die Straßen des Stadtcenters Richtung Altstadt, vorbei an den schönen Jugendstilhäusern von denen es, wie ich wenige Tage später von Martin  erfahre, ganze 800 in Riga gibt. Jedes erzählt eine eigene Geschichte und sie sind dennoch geprägt von einer Zeit des Reichtums und neuer Schaffensfreiheit zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

In der Parkanlage Esplanāde staune ich über die goldenen Kuppeln einer Kathedrale in die ich zugleich einen Blick hineinwerfe. Stille, gedämpftes Licht und ein alter Geruch nach Weihrauch und Heiligkeit erwarten mich hier. Später lese ich, dass es die Christi-Geburt-Kathedrale und damit die größte orthodoxe Kirche der baltischen Staaten ist. Nach einem Moment der Ruhe verlasse ich diese fremde Welt und mache mich durch die nächste Parkanlage auf den Weg zum Freiheitsmonument. Wie ein Wächter der Altstadt strahlt es mir entgegen. Auf der Spitze hält eine kupferne Frau 3 goldene Sterne über ihren Kopf. Diese stehen für die 3 lettischen kulturhistorischen Regionen und wurden von der sowjetischen Besatzung als die 3 Staaten des Baltikums zweckentfremdet bezeichnet. Jetzt gehört die Freiheitsstatue wieder den Letten. 
Ja, Lettland hat eine lebendige Geschichte hinter sich und erst seit dem Zusammenfall der Sowjetunion zu Beginn der 90er Jahre ist das Land endlich wieder unabhängig.
An der Petri-Kirche begegnen mir die Bremer Stadtmusikanten, als Geschenk der Partnerstadt Bremens, müssen auch sie hier für „Wünsch-dir-was“-Rubbel-Aktionen herhalten. Ich muss lächeln, als ich sie erblicke, denn die letzten 3 Jahre konnte ich Bremen mein zu Hause nennen. Auch so erinnern mich hier immer wieder architektonische Merkmale an Bremen. Kein Wunder, auch Riga ist eine Hansestadt und daher mit vielen Städten Nordeuropas sehr verbunden!
Aufgrund der Dunkelheit suche ich Licht auf dem Weihnachtsmarkt am Domplatz, wo mir riesige Tierfelle, wunderschöne Live-Musik und eine offene Feuerstelle entgegenstrahlen. Der vom Feuer aufgewärmte Glühwein schmeckt natürlich besonders gut und so falle ich müde in mein Bett.

Sonntag, 6.12.
Wieder laufe ich durch das Stadtcenter Richtung Altstadt. Auch wenn die Altstadt nur einen Bruchteil der 700.000 Einwohner Stadt darstellt, zieht es mich trotzdem wieder zu den vielen Kirchen und alten Gebäuden. In der Esplanāde entdecke ich auch einen kleinen Weihnachtsmarkt, wo es ein gar nicht mal so kleines abgezäuntes Dorf mit süßen Häusern versehen, die im Licht und Takt der Musik blinken, für Hasen gibt. Ja, lebendige Hasen, die darin herumhoppeln und für die Geld gesammelt wird. Auch so entdecke ich immer wieder geschmückte Häuslein in der Stadt, die Spenden für bedürftige Tiere und Kinder sammeln. Da ich noch eine Hausarbeit fertig schreiben muss, verziehe ich mich bis zum frühen Nachmittag ins gemütliche und dank seiner großen Glasfront sehr helle Index Café. Es ist nicht leicht sich zwischen den vielen süßen Cafés in Riga zu entscheiden und so werde ich die nächsten Tage immer wieder neue aufsuchen. Ansonsten stechen mir an diesem Sonntagmorgen die vielen rot-weißen lettischen Fähnchen in die Augen, die aus allen Häuserfassaden herausragen. Es ist Sonntag und deswegen umso mehr Leute draußen unterwegs, auch wenn sich die Sonne kaum blicken lässt. 
Später lasse ich mir im Fat Pumpkin auch noch einen leckeren Quinoa-Süßkartoffel-Turm schmecken, laufe über eine blau-weiß-beleuchtete Brücke die Daugava hinüber und lausche einer lettischen Kelly-Family am Weihnachtsmarkt.

Montag, 7.12.
Ich sitze im De Gusto und fühle mich wie eine Königin. Gold verzierte Stühle mit prunkvollen blauen Spitzen stehen neben einem riesigen Spiegel, der ebenfalls einen mit Gold verzierten Rahmen um sich rankt. Den russisch klingenden Gesprächen lauschend, genieße ich hier diesen perfekten Ort um mich von der Rauheit der See und dem lauten Wind zu erholen.
Die ersten Sonnenstrahlen erblickend (endlich!) habe ich mich heute früh entschlossen mit dem Zug nach Majori, einem kleinen Teilort Jurmalas zu fahren. Hier erstreckt sich über 40km lang die Küste der Ostsee. Weißer Sandstrand und das wilde Meer lassen mich voller Freude strahlen und auch der eisigste Wind kann meinem Freiheitsgefühl nichts abringen.

Ich wärme mich auf in der kleinen Konditorei und sehne mich doch schon wieder ans Meer zurück. Der Ort hat trotz des Winters nichts von seinem Charme verloren. Vielleicht gerade wegen der Kälte ist es möglich die verlassenen Straßen, leerstehenden kleinen Ferienhäuser und große Hotelbauten zu genießen. Die vielen Souvenirläden, leerstehenden Verkaufsbuden und Reklame zeugen jedenfalls von der Popularität dieses Ortes. Zu dieser Jahreszeit obliegt die Macht dem Meer, das mit aller Kraft den schmalen Sandstreifen umschwemmt und auch keinen Halt vor dem Spielplatz und Bänken macht. Auch mein rechtes Bein versinkt tief in einer schwammigen Strandmulde- glücklicherweise habe ich Ersatzsocken eingepackt.
Trotz touristischer Spuren kann ich auch viele verlassene Hüten und schöne kleine im Jugendstil erbaute Holz- Ferienhäuser bewundern. Als ich wenig später an der Bahnlinie entlang laufe, sehe ich heruntergekommene und neue Wohnhäuser. Die wilden Wellen des Meeres in Erinnerung, setze ich mich wieder in den Zug und fahre glücklich und von den Sonnenstrahlen gewärmt die 40 min zurück nach Riga.
Dort scheint die Sonne immer noch und es tut gut die prachtvollen Gebäude der Stadt auch einmal im Tageslicht bewundern zu können. Am Morgen hatte ich das Hochhaus der Akademie der Wissenschaften entdeckt. Als Merkmal der sowjetischen Zeit Rigas ragt es über die Moskauer Vorstadt hinweg. Ich beschließe mir die 4€ für den Aufzug in den 15. Stock zu gönnen und laufe bis zur 17.Etage dem Sonnenuntergang entgegen. Von hier oben habe ich einen grandiosen 360° Weitblick. Ins Auge sticht mir vor allem der große Fernsehturm, der größte freistehende seiner Art in Europa. Am nächsten Tag erfahre ich von Martin, dass die Akademie der Wissenschaften auch Stalin´s Birthday Cake genannt wird. Von Stalin initiiert stand hier zu seinen Lebzeiten ein kleines Kongresshaus für Bauern, die die Zukunft der Sowjetunion bilden sollten. Dieses Haus sollte vergrößert werden und als Kultur- und Wissenschaftspalast im Sinne anderer sowjetischer Hochhausbauten herausragen.  Stalin bekam diese besondere Akademie nicht mehr mit, doch einen Besuch ist dieses Bauwerk auf jeden Fall wert!

Dienstag, 8.12.
Am Dienstagmorgen kann ich mich wieder über Sonnenstrahlen freuen und laufe deswegen die mächtige Stahlseilbrücke rüber zu der Insel Kipsala. Diese Insel offenbart vieles des neuen modernen Rigas: Schick renovierte Holzhäuser, Restaurants mit Glasfront in fabrikähnlichen Gebäuden, ein Messegelände. Mein liebstes Haus erinnert mich an typische schwedische Häuser. Mit einem Blick auf das Klingelschild stelle ich fest, dass sich darin die Botschaft des belgischen Königreichs befindet. Als ich einen Seitenstraße weg vom Kopfsteinpflaster nehme, begegne ich wieder einer anderen Seite Kipsalas: Zerfallene Häuser, Feldwege und bäuerliche Dorfatmosphäre. Hier bekomme ich einen anderen Einblick in Riga.

Auch Martin, der mich später mit der Yellow Tour durch einen Teil Rigas führt meint, dass die Fassade oft nur von außen schön wirke, das Innere wird oft gar nicht betrachtet. Ich treffe ihn bei der Petri- Kirche in der Altstadt und er führt mich gemeinsam mit 15 anderen Besuchern dieser Stadt hinaus aus der Altstadt. Hier befinden sich laut ihm nur Touristen, die Einheimischen seien hier nur zum Arbeiten. Gegründet wurde die Altstadt auch von einem deutschen Orden zu Beginn des 13.Jahrhunderts. Deswegen ist Riga stark von deutscher Kultur beeinflusst aber auch von Skandinavien und Russland. Leider wurde Riga von 1941-1944 auch von deutschen Truppen besetzt, weswegen hier einige Konzentrationslager sowie Massaker einen hohen Anteil der jüdischen Bevölkerung Lettlands in den Tod führte.
Martin macht uns Mut mehr von den verschiedensten Stadtteilen Rigas zu besichtigen und im Zentralmarkt die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Riesige Markthallen mit Gemüse, Sauerkrautbergen, frischem Fleisch und Fisch, unterschiedlichsten Backwaren und unzähligen Gerüchen machen auf jeden Fall Lust auf mehr. Gemeinsam mit ihm entdecke ich viele kleine Geschichten der Stadt, die sie für mich lebendiger werden lassen.

Mittwoch 9.12.
Von meinem Tourguide angespornt begebe ich mich an meinem letzten Tag in die Moskauer Vorstadt mit ihren vielen Holzhäusern, etwas zwielichtig wirkenden Hinterhöfen und nicht mehr strahlend neuen Häuser-Fassaden. Das triste Wetter lässt mich wieder ins heller wirkende Stadt-Zentrum mit seinen Jugendstilbauten in der Elizabetes iela(iela=Straße) laufen. Dort genieße ich einen leckeren Brunch und mache mich dann auf zum Zentralmarkt, um noch einmal in das Treiben einzutauchen und etwas einzukaufen.

Am Abend treffe ich mich mit Annija, einer 25 jährigen Lettin, deren Kontakt ich über eine Freundin vermittelt bekommen habe. Wir verbringen einen sehr netten Abend im Rozengrals, einem sich im Kellergewölbe befindenden Restaurants, wo ich Cranberry-Bier und leckeres Knoblauchbrot verspeise. Die Atmosphäre hier zeigt mir wieder einen anderen Teil Rigas. Im Gespräch mit Annija reden wir über Lettland, Deutschland, Russland und vieles mehr. Annija arbeitet bereits als Ärztin, zu einem Stundenlohn von 4,66 €, leider normal in Lettland! Trotzdem ähneln viele der alltäglichen Kosten denen in Deutschland. Sie erzählt mir, dass sich Letten mehr als Europäer fühlen und man sie von russischen Menschen auf jeden Fall durch ihre Zurückhaltung unterscheiden könne.  Ja so habe ich viele der Menschen hier auch empfunden: zurückhaltend und dennoch sehr nett. Ich habe mich hier sehr wohlgefühlt und werde das nächste Mal im Sommer wieder kommen. Auf Wiedersehen! Uz redzēšanos!
Reisetipps für Lettland:
Das urgemütliche Restaurant im Kellergewölbe: Rozengrals
Feinschmeckerfreuden im vegetarischen Restaurant: Fat Pumpkin, Grecinieku Iela 30/25,
Frühstück, Kaffee und mehr.
Die wohl unterhaltsamste Stadtführung Rigas
Sich fühlen wie ein König im Café (fast) am Meer: De Gusto, Jomas iela 46, Majori